Ist ein virtueller Marathon ein echter Marathon?
Heute läuft man Marathons nicht nur mit 40.000 anderen gemeinsam in Berlin, sondern auch alleine. Virtueller Marathon nennt sich das. Da stellt sich natürlich die Frage, ob dies dann wirklich Marathonläufe sind? Auch ich veranstalte mit den Runningdays viermal pro Jahr virtuelle Läufe, bei denen man mit selbstorganisierten Läufen, solo oder in Kleingruppen, neben dem LC-1000 und 5 Kilometer Läufe in die Wertung kommen kann. Mal unter uns gedacht, sind solche Teilnahmen an virtuellen Läufen wirklich Leistungen, nach denen man sich erlauben kann seine Urkunden zu posten und stolz seine Medaillen zu tragen? Sind virtuelle Marathonläufe echte Marathonläufe?
Aufschneider oder Realist?
Derzeit lese ich ein Buch von einem 100-fachen Marathonläufer. Ein Läufer, der schon in New York City und London Marathon gelaufen ist, sogar die ganz World Majors Serie hat er gemeistert. Die letzten zwanzig seiner 100 Marathons ist er aber bei sich zu Hause im Ruhrgebiet gelaufen. Alleine, also Corona konform. Fast immer sogar über 43 Kilometer und länger, das kann man bei Strava beobachten. Da drängt sich doch die Frage auf, ob dies überhaupt „echte Marathons“ sind? Schmückt sich hier jemand mit falschen Federn?
Ich zumindest habe innerlich rebelliert, als mir ein Leistungsdiagnostik Kunde einst erzählte, er sei schon 105 Halbmarathons gelaufen und fünfmal Marathon. Die Marathons als offizielle Wettbewerbe und von seinen Halbmarathons fünfundzwanzig als Wettkämpfe und achtzig im Training. In seiner persönlichen Erfolgsliste hat er diese Trainingsläufe aber wie „richtige“ Laufveranstaltungen gezählt. Sie waren für ihn genauso bedeutend. Ich empfand das als lächerlich und dachte, dann hätte ich sicher schon über fünfhundert Halbmarathons. Mit etwas Distanz frage ich mich nun, mit welchem Recht ich diese Selbstbetrachtung der erbrachten Leistungen so abschätzig wertete? Und ich frage mich als selbst 150-facher Marathonläufer nun, ab wann ein Marathon ein echter Marathon ist? Kann man alleine Marathon laufen?
Ein Marathon ist 42,237 Kilometer lang
Ja, Sie lesen richtig. Kein Tippfehler. Eher eine bewusste Stolperstelle. Wir haben gelernt, bei den Olympischen Spielen in London 1908 wurden erstmals die 42,195 Kilometer gelaufen. Als später immer mehr Veranstaltungen diesem Beispiel folgten, hielt die IAAF, der Welt Dachverband der Leichtathleten, diese zunächst rein zufällig entstandene Distanz 1921 in ihr Regelwerk als künftig verbindliche Länge fest. Seither laufen wir 42,195 Kilometer. Warum aber mein Aufschlag von 42 Metern? Ebenfalls die IAAF legte später weiterhin fest, dass pro Kilometer ein Meter mehr als Strecke gemessen werden muss, damit ein Rekord auch als solcher anerkannt werden kann. Wer also künftig bei Straßenmarathons den blauen Linien folgt weiß, dass wir eigentlich zu viel laufen und es Weltrekorde nur mit 42 Promille gibt (1 Promille = 1 Tausendstel). Dafür amtlich vermessen und bestlisten tauglich.
Nur Marathons mit Medaille zählen
Als ich irgendwann zum Marathonsammler mutierte achtete ich weniger auf die Feinheit der bestlistentauglichen Vermessung. Mir war es wichtig, dass es eine Medaille gab. Jedes Medaillen Souvenir brachte ich stolz mit nach Hause und hängte es nicht weniger stolz neben die anderen an die Wand. Wenn schon Marathon laufen, dann nur mit Finisher-Medaille. Als dies zum ersten Mal nicht gewährleiste war, bastelte mir unser Au pair Mädchen eine Medaille aus Moosgummi. Fand ich eine tolle Geste, habe ich ebenfalls aufgehängt. Und so ist es selbstverständlich, dass es auch bei den Runningdays wertige Medaillen gibt, die man sich gerne aufhängt.
Decke Tönnes Quasselmarathon
Als ich 2005 meinen ersten von inzwischen über 35 Quasselmarathons veranstaltete, verabschiedete ich mich erstmals von meinen Grundsätzen. Immerhin schaffte ich mit meiner Internetseite www.decke-toennes.de eine präzise Ausschreibung und damit lange vorher ausgeschriebenen Termine und einen offiziellen Charakter. Ich bin die Strecke vorab mehrfach abgelaufen, um sie sorgfältig zu vermessen, doch diese Trainingsmarathons zählte ich natürlich nicht. Die offiziellen Termine laut Ausschreibung aber schon. Und von meinen 150 Marathons stand heute (04.04.2021) zähle ich meine 28 Teilnahmen am Decke Tönnes Marathon selbstverständlich auch zu meinen Marathonerfolgen. Und dies obwohl es aus Kostengründen weder Medaillen noch eine Zeitmessung gab und die Urkunden zunächst nur für die Erstteilnahme zum Selbstausdruck. Dafür ist allerdings kein Startgeld zu zahlen, den Tee und die von meiner Frau gereichten Bananen zur Hälfte der Distanz und vor allem die leckeren Vollkornwaffeln zum Schluss gibt es stets gratis. In der Spitze hatten wir etwa 50 Teilnehmer bei unseren Gruppenläufen und mit ihrer Erstteilnahme am Decke Tönnes Marathon konnten sich schon über 239 Finisher ins Finisher-Buch eintragen. Alles beachtliche Leistungen, denn die Marathonrunde führt über einen Rundkurs mit über 800 Höhenmetern durch die Eifel. Den GPS-Track gibt es über die Homepage.
Ein Marathon zählt, wenn einer ins Ziel kommt
Dem 100 Marathon Club Deutschland e.V. sind Medaillen und amtlich vermessene Strecken egal. Den Mitgliedern ist es wichtiger, dass sie Marathons laufen die „anerkannt“ werden. In diesem Fall anerkannt vom 100 Marathon Club. Denn ihr Hobby ist das Sammeln von Marathonläufen und die erreichte Zeit ist für die meisten Mitglieder nebensächlich. Dennoch werden Ergebnislisten geführt und Urkunden zugestellt. Auch ich habe an einigen dieser Veranstaltungen schon teilgenommen, meist waren mindestens fünf Läuferinnen und Läufer am Start.
Die 100 Marathon Clubs gibt es weltweit, jeweils mit eigenen Regularien, die in Details recht unterschiedlich sein können. Die „Zählordnung“ des deutschen Ablegers, die regelt welche Marathons in die Statistik aufgenommen werden, ist recht moderat: 1. Die Streckenlänge muss mindestens 42,195 km betragen, 2. der Marathon muss öffentlich ausgeschriebenen sein, zum Beispiel über die Internetseite des Clubs www.100-marathon-club.de und 3. müssen mindestens drei Teilnehmer am Start sein. Drei Teilnehmer. Am Start. Nicht im Ziel. Wenn drei starten und zwei abbrechen gilt der einzige Finisher als erfolgreicher Marathonläufer, der Lauf wird somit gewertet, das besagt die Zählordnung.
Da kann man als Stadtmarathonläufer schon stutzig werden, wenn man vor allem wegen des Eventerlebnisses läuft, wegen der motivierenden Massen im Startbereich und auf der Strecke, dem Zuschauerjubel im Zielkanal, der Marathonmesse und Pasta Party vorab und der Finisher-Party im Nachhinein. Aber warum sollte ein Marathonlauf zu dritt nach der Zählordnung des 100 Marathon Clubs weniger wert sein? Ist er nicht vielleicht sogar die noch höher einzuschätzende Leistung, weil man ohne den Support an der Strecke und die Anfeuerung auskommen muss. Und virtuelle Sololäufe erst recht?
Ein virtueller Marathon ist eine große Leistung
Die Leistung 42,195 Kilometer gelaufen zu sein zählt. In einer Zeit, in der sich der Deutsche im Schnitt nur 700 Meter täglich zu Fuß bewegt, sollte die über 70-fache Leistung aller Achtung wert sein. Und selbst wenn man davon ausgeht, dass ein täglicher Fußweg von 20 Kilometern in unseren Genen liegt, der Veranlagung des Lauftiers Menschen entspricht, also natürlich ist, auch dann ist die doppelte Leistung immer noch sehr beachtlich. Mit oder ohne Medaille, mit oder ohne Ergebnisliste, amtlich vermessen oder nicht, solange die Strecke 42,195 Kilometer beträgt oder gar überschritten wird soll sich jeder Sportler über seine Marathonleistung freuen und feiern lassen dürfen.
Und wie sieht es mit den Finisher-Medaillen aus?
Ob man heutzutage an der Isar virtuell den Hawaii Marathon laufen muss und vorab eine entsprechende Medaille erwirbt oder an der Alster den Miami Marathon, solche Stilblüten anderer Veranstalter gefallen mir persönlich nicht. Aber warum nicht anlässlich der Runningdays an der Marathonwertung teilnehmen und damit in Hamburg den persönlichen Alster Marathon und in München den Isar-Marathon laufen, um sich dann mit der neutralen und wertigen Runningdays Medaille belohnen? Man kann ohne Medaillenkauf teilnehmen oder sich die Medaille zusätzlich gönnen, diese wird aber erst versandt, wenn die Leistung erbracht ist, zwei Tage nach der Schließung der offiziellen Ergebnislisten. So gefällt es mir ganz persönlich, darum habe ich es für alle virtuellen Läufe der Runningdays von 1000 Meter und 5 Kilometern so entwickelt. Denn Leistung ist Leistung und wer sich mit einer Medaille selbst belohnt bleibt sich seiner Leistung länger und tiefer bewusst. Dies kann dann die Basis für weitere erfolgreiche auch virtuelle (Marathon-)Läufe sein
Und? Wann sehe ich Sie in den Marathon Ergebnislisten der Runningdays?
Herzliche Grüße,
Ihr Andreas Butz