Neue Länder. Neue Perspektiven.
Ein Marathon kann viel mehr als nur ein Wettkampf sein – er kann eine Reise zu neuen Kulturen, neuen Menschen und neuen Blickwinkeln sein. Die 42 Kilometer werden zum Sightrunning, weil Regionen sich herausputzen, die Autos wegsperren und Menschen aus allen Ecken der Welt exklusiv ihre Türen, Tore und Trails öffnen.
Doch das ist lang nicht alles, wenn ich an Marathon denke. Ich denke an ferne Länder, in die ich ohne meine Leidenschaft fürs Marathonlaufen nicht hingekommen wäre. Warum ich das schreibe? Im Juni 2025 habe ich zum 30. Mal anlässlich eines Marathons ein Land besucht – die Färöer-Inseln. Hoch im Norden.

Ich führe eine öffentliche Liste mit all meinen über 200 Marathonläufen.
Warum wir reisen, wo wir laufen
Meine Frau Gisela und ich nehmen Marathons gerne zum Anlass zu reisen. Die dreieinhalb bis vier Stunden des Wettkampfs sind jedoch nur ein kleiner Teil unserer meist vier- bis siebentägigen Reise – der eigentliche Reiz liegt im Davor und Danach: im Erkunden, Erleben, Eintauchen, wie auch im Stöbern, Sammeln und Schmecken.
Wir laufen nicht nur durch die Straßen neuer Städte – wir entdecken Länder, in die wir sonst vielleicht nie gereist wären. Lettlands Hauptstadt Riga oder Tunesiens pulsierende Metropole Tunis standen nie auf unserer Urlaubsliste. Auch Celje im Nordosten Sloweniens oder die walisische Hafenstadt Tenby hätten wir ohne unsere Marathons wahrscheinlich nie besucht. Und doch waren wir dort – liefen und lernten Orte kennen, die uns durch ihre Landschaften, Menschen und Geschichten überrascht und bereichert haben.
Ob der dramatisch schöne Südwesten von Wales oder der Burgberg, der über Celje wacht – alle sind jetzt Teil unserer ganz persönlichen Laufweltkarte, genauso wie Karthago bei Tunis mit seinen Römergeschichten und die große Lust der Menschen in Riga aufs Singen. Diese vier Beispiele sind wahllos herausgegriffen aus einer Vielzahl an Geschichten, in die wir bisher eintauchen durften.
Marathonreisen: Warum es ein ganz anderes Reisen ist
- Du siehst die Stadt im Ausnahmezustand – wenn alles für die Läufer bereitet ist, Straßen gesperrt, Menschen jubeln.
- Du wirst Teil der lokalen Energie – ob in Marrakesch, Malta oder Mallorca: Die Begeisterung an der Strecke kann weltweit ein emotionales Feuerwerk sein.
- Du bewegst dich durch Geschichte, statt mit dem Finger durch Reiseführer – der Straßenbelag, der Duft, die Stimmung… das sind echte Erinnerungen.
- Doch vor allem lernst du die Welt verstehen.
Wenn aus Ländern Geschichten werden
Für mich ein schönes Erlebnis war der diesjährige Eurovision Song Contest. Als ich der Moderation lauschte, hörte ich beiläufig, dass Schweden diesmal von einer finnischen Band vertreten wurde – und Dänemark von Künstlern von den Färöer-Inseln. Früher wäre mir das kaum aufgefallen. Heute jedoch zauberte die Moderation Bilder in meinen Kopf: von unserer Schifffahrt durch die finnischen Schären und vom (da noch geplanten) Marathon auf den Färöern, wo wir schließlich auch mit Fähren zwischen den Inseln unterwegs waren. Und von Schweden, wo ich bald zwischen Stockholm und Uppsala laufen werde – wieder auf der Suche nach neuen Eindrücken und Impulsen.
Wie wir die Vorfreude anfeuern
Wir beschäftigen uns schon Wochen vor den Reisen mit unseren Zielen, lesen Reiseführer, schauen uns aber auch all die Dokumentationen an, die im TV oder auf YouTube zur Verfügung stehen. Das bereitet nicht nur vor, es steigert auch die Vorfreude. Ob Island-Krimis, Liebesfilme, die in Kroatien spielen, oder Reportagen über die Grindwaljagd auf den Färöern – wochenlang steigen wir gedanklich in Regionen ein. Und dann genießen wir es noch mehr, die Landschaften, Geschichten und Traditionen auch live zu erleben, die wir bisher nur vom Flachbildschirm kannten.
Warum ich im Dauerlaufschritt reise
Wenn ich einen Marathon zum Anlass nehme zu reisen, dann selten, um meine Bestzeit zu jagen. Ich laufe bewusst im Dauerlaufschritt, genieße jeden Kilometer. Das erlaubt mir, nicht nur beim Rennen körperlich entspannt und im Kopf aufmerksam zu bleiben, sondern auch davor und danach Zeit für Erkundungen zu haben. Ich muss mich nicht schonen, ich darf erleben. Tapering geht natürlich anders.
Oft reisen wir vor Ort mit öffentlichen Verkehrsmitteln – wie in Dänemark, wo wir die Bahn zwischen Kopenhagen und Kalundborg genommen haben, um dort den Adventsmarathon zu laufen. Das hat wunderbar funktioniert. In anderen Ländern, wie in Island, nahmen wir das Auto, um weit von Reykjavík entfernte Täler, Wasserfälle und Strände zu entdecken. Das Bad in den heißen Quellen nach einer einstündigen Bergwanderung bleibt für uns unvergesslich.
Jeder Marathon ein Kapitel der Weltgeschichte
Wenn ich zurückblicke, erinnere ich mich nicht nur an meine Zielzeiten. Ich erinnere mich an die Yoga-Session in einem Park in Lissabon, Portugal und an eine spektakuläre Turmbesteigung in der Altstadt von Tallinn, Estland. Und immer noch ganz frisch, an die noch frischere Brise auf den Färöern, als ich das Wort "Gegensturm" erfand. Jedes Land hat mir nicht nur eine Medaille beschert, sondern tiefe Spuren in Kopf und Herzen geschaffen.
Mitglied in der Weltliga der Marathonläufer?
Wer Marathonläufe nutzt, um Länder zu entdecken, dem öffnen sich besondere Gemeinschaften. Wir nennen uns die Verrückten – getreu dem Motto: Den Verrückten gehört die Welt. Wir treffen und motivieren uns gegenseitig auf Reisen und im Internet. Vielleicht für dich interessant: Zwei internationale Plattformen verbinden die Weltenbummler unter den Marathonläufern:
- Marathon Globetrotters – mitmachen kann jeder, der mindestens 5 Länder „erlaufen“ hat. Die Plattform lädt zum Stöbern ein. Man erfährt viel über Länder und autonome Regionen und wie vielfältig die Welt ist. Die Mitglieder legen sich Profile an und laden Laufergebnisse zu neuen Ländern hoch, die gewissenhaft geprüft werden. Die Profile werden so immer länger und alle zehn Länder mit einer Fahne belohnt. Ich zähle nun zu einem schon exklusiveren Kreis an Menschen, die drei Fahnen haben – hier mein Profil bei den Globetrotters. Doch einer hat bereits 200 Nationen marathonlaufend besucht: Der legendäre Brent Weigner, Jahrgang 1951 – hier sein Profil.
- Country Marathon Club – hier liegt die Eintrittsschwelle bei 30 verschiedenen Ländern. Die Mitglieder dieses Clubs bilden eine ganz eigene Elite – weltoffen, laufverrückt, neugierig auf die Welt. Noch habe ich mich nicht angemeldet.
Kein Fazit
30 Länder – und ich habe das Gefühl, gerade erst losgelaufen zu sein. Darum ein Schlusswort für diesen Blog-Artikel, aber kein Fazit.
Ich wünschte mir, mehr Menschen würden mehr reisen – in Regionen, die ihnen bisher unbekannt sind. Reisende haben weniger Vorurteile. Man lernt zu verstehen, warum andere sich anders verhalten.
Nur ein Beispiel: Als ich in vielen Regionen Marokkos die große Zahl an Bettlerinnen und Bettlern sah, hat mich das beschäftigt. Ich begann zu lesen und zu verstehen, dass Betteln dort in Teilen der Gesellschaft eine lange Tradition hat – und nicht automatisch als Makel gilt. Religiöse Gebote zur Almosengabe und eine andere soziale Struktur prägen dieses Bild. Für viele ist es eine Form des Überlebens, für andere ein fester Bestandteil ihres Alltags. Das zu wissen, hat mir geholfen, meine Sicht zu weiten – und meine europäischen Maßstäbe ein Stück weit zu relativieren. Ob ich auch betteln würde, wenn ich dort auf die Welt gekommen wäre? Wer weiß das schon.
Wenn du darüber nachdenkst, Marathonreisen zu unternehmen, dann mach dich nicht nur auf den Weg zu einem Finish, sondern zu Erfahrungen, die du nie wieder vergessen wirst. Dein Herz wird weiter, dein Horizont auch.
Laufen kann dich überall hinbringen – auch zu dir selbst.