Bruno Schmidt mit Freunden, sitzende im Rolli beim Lauftraining mit Andreas

„Man müsste etwas tun“

Die tödliche Krankheit ALS hat Andreas zwei Freunde genommen und einen geschenkt. Lies hier die Geschichte hinter dem Deutschlandlauf.

Die Geschichte hinter dem Deutschlandlauf

Clemens war gestorben. Gut eineinhalb Jahre nach der Erstdiagnose der Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose, kurz ALS genannt. Vom athletischen Strahlemann zum hilfsbedürftigen Pflegefall in wenigen Monaten. Clemens, seine Familie und seine Freunde mussten hilflos dabei zusehen, wie nach und nach sein Körper die Dienste versagte. Er und wir haben bis zuletzt gehofft, dass es doch nicht die unheilbare und Tod bringende Krankheit ALS wäre, sondern etwas anderes, eine nicht nur therapier- sondern heilbare Krankheit. Umsonst. 

„Man müsste etwas tun“ murmelte einer meiner Freunde in die Runde, ein Freund aus dem Spielekreis, den Clemens mit seinem Humor, seiner Schlagkräftigkeit, seiner Agilität und einer unendlich weiter zu führenden Liste an wunderbaren Eigenschaften so geprägt hat. Doch was sollten wir tun?

Auf der Suche nach Hilfe und Empfehlungen, wie man mit ALS umzugehen hat, nach Therapieansätzen und medizinischen Experten, besuchte Clemens eines Tages Bruno Schmidt in Linnich. Bruno, ebenfalls an ALS erkrankt – im Frühjahr 2015, kurz nach seinem ersten Marathonlauf, wurde die Krankheit bei ihm diagnostiziert – gründete 2016 den nach ihm mit einem Augenzwinkern benannten Selbsthilfeverein ALS – Alle Lieben Schmidt e.V. Neben seinem eigenen Überlebenskampf machte Bruno es sich zur Lebensaufgabe Wissen zu sammeln und zu teilen, Spendengelder zu akquirieren und an Bedürftige auszuschütten, Medien und Einzelpersonen aufzuklären. So wie auch Clemens, der Rat suchte und bei Bruno fand. „Den solltest du mal kennenlernen“, meinte Clemens einst zu mir. Bruno war früher Radleistungssportler und somit Ausdauersportler wie ich. Ich hörte die Empfehlung, wusste aber nicht, warum ich den Kontakt suchen sollte. Für Clemens war der Austausch wichtig, er erfuhr bei diesem Gespräch einiges über Rollstühle mit Steuerung, über künstliche Beatmung und über wichtige Entscheidungen, die man als Erkrankter treffen sollte, so lang man sie noch selbstbestimmt treffen kann.

Wenige Jahre zuvor

Anfang 2015 erhielt ich eine Mail von Janos. Ich freute mich riesig, denn seit meinem Umzug von Nürnberg nach Euskirchen im Jahr 2004 hatte sich unser Kontakt gelöst. Aus den Augen, aus dem Sinn, ohne Absicht. Und plötzlich erhielt ich diese Mail mit der Einladung zu seiner Buchvorstellung. Janos war unter die Autoren gegangen, „Liebe“ hat er sein Werk genannt. Ich freute mich sehr, konnte wegen anderer Termine die Einladung aber nicht annehmen. Während unseres Maildialogs kam dann die schockierende Frage: „Weißt du, dass ich an ALS erkrankt bin?“. Nein wusste ich nicht. Er schickte mir einen Bericht aus einer Tageszeitung. Hier beschrieb er die Krankheit als ein permanentes Abschiednehmen, „Das letzte Mal laufen, radeln, schwimmen, verreisen. Zum letzten Mal etwas greifen, streicheln, berühren. Letztmalig essen, singen und sprechen.“ Gisela und ich versuchten ihn später zu treffen, doch die Tagesform lies es jeweils nicht zu. Beim letzten Versuch war es der Sprachcomputer, der nicht funktionierte. Nur angeschaut zu werden, das war Jonas zu wenig. So sah ich ihn nie wieder.

„Hier ist Bruno Schmidt. Kann es sein, dass Sie in meinem Namen durch ein Naturschutzgebiet laufen?“ 

Aus ‚man müsste‘ machten meine Frau Gisela und ich eine Aktion. Wie erdachten uns ein Lauftreffkonzept für unsere Lauftrainer nach dem Motto ‚Tue Gutes und rede darüber‘. Viele Lauftrainer boten in der Folge offene Gratis-Lauftreffs an, eine Stunde Laufspaß für jedermann, mit der Bitte an die Teilnehmer, als Dankeschön einen kleinen Betrag zu Gunsten von ALS – Alle Lieben Schmidt e.V. zu spenden. Meine Trainer und ich waren so beseelt von der Aktion, dass wir glatt vergaßen den Begünstigten zu informieren. Und als sich ein Bürger aus Sachsen telefonisch bei Bruno Schmidt darüber beschwerte, dass ein Laufcampus Trainer aus Görlitz einen nicht angemeldeten Lauftreff zu Gunsten seines Selbsthilfevereins organisierte, antwortete Bruno Schmidt „Das kläre ich, da rufe ich mal an, bei diesem Laufcampus“. 

Das war der Beginn unseres Kennenlernens. Heute kann ich sagen, dass mir ALS zwei Freunde genommen und einen geschenkt hat. Bruno und mich verbindet der seltsame Humor den jeweils anderen zu veräppeln, die Freude am Sport, das Kommunikative, das nach außen gerichtet Wirken, und seit einigen Jahren die Lust, gelegentlich miteinander Sport zu treiben. Bruno im Rolli, ich am Lenker. Die gemeinsame Teilnahme am Köln Marathon 2019 war diesbezüglich der bisherige emotionale Höhepunkt. Das wollten wir ein halbes Jahr später in Düsseldorf wiederholen. Dann kam Corona.

Im Dezember 2021 erhielt Bruno Schmidt für seine Verdienste rund um seine Arbeit und die seinen Selbsthilfeverein ALS – Alle Lieben Schmidt e.V. im Namen des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier das Bundesverdienstkreuz. Ich durfte dabei sein. Und wieder dachte ich, man müsste mal etwas tun, nochmal was Großartiges, solang wir es noch gemeinsam erleben können. Die Idee zum Deutschlandlauf entstand. 21 ALS Spendenmarathon in 21 Tagen, gute 930 Kilometer vom Ostzipfel zum Westzipfel Deutschlands. Und auf der letzten Etappe, dem 21. Marathon, von Venlo nach Selfkant, wird es sich Bruno nicht nehmen lassen, mich zu begleiten. Er im Rolli, ich am Lenker. Und ich bin mir sicher, wir werden dabei nicht allein sein.

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Andreas

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