Training, Ernährung und Mindset: Zwei Ansätze, ein Ziel
Als Lauftrainer begleite ich sowohl ambitionierte Wettkampf-Sportler, darunter Altersklassensportler, die spezifische Leistungen erbringen wollen, als auch Menschen im gleichen Alter, denen es in erster Linie um eine gesunde Langlebigkeit (Healthy Longevity) geht. Beide Ansätze haben natürlich ihre Berechtigung, aber die Herangehensweisen können sehr unterschiedlich sein.
Diese Unterschiede spüre ich auch selbst, als Mann Jahrgang 1965, hin- und hergerissen zwischen der Frage: Was will ich mehr – alles für persönliche Bestzeiten tun oder weniger Stress im Sport? Reichliche Zufuhr von essentiellen Nährstoffen oder gesundes Intervallfasten? In diesem Artikel reflektiere ich darüber, wie abweichende Tipps, die auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen, in unterschiedlichen Kontexten dennoch richtig sein können.
Training oder Bewegung: Welcher Weg führt zu Ihrem Ziel?
Gelegentlich ärgere ich mich darüber, wenn Experten Meinungen äußern, die nicht zu meiner jeweiligen Ausrichtung passen. Marathonlaufen solle ungesund sein, maximal das Training sei förderlich. Hochintensives Intervalltraining (HIIT), kurz und knackig, solle gut für die VO2max sein, lange Intervalle, die der Halbmarathon- oder Marathonläufer benötigt, bedeuteten hingegen Stress für das Herz-Kreislauf-System und damit schlecht für die Gesundheit. Müssen wir uns beim Training entscheiden? Gesundheit oder Ehrgeiz? Ich habe das Expertenwissen einsortiert, je nach Zielgruppe und persönlicher Ausrichtung.
1. Zielsetzung und Belastung: Gesund bleiben oder Grenzen austesten?
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Wettkampf-Sportler: Training verfolgt stets spezifische Ziele, sei es die Verbesserung der Laufzeit über die Halbmarathon-Distanz oder der Muskelaufbau. Das bedeutet oft eine progressive Belastungssteigerung mit intensiven Laufeinheiten wie Intervalltraining, zum Beispiel mehrfach über 2.000 bis 4.000 Meter, nur durch kurze Pausen unterbrochen. Oder im Muskelaufbau: wenige Sätze mit wenigen Wiederholungen, dies aber bis an die Belastungsgrenze. Trainiert wird nach dem Motto: "Der Muskel muss brennen, Opa!".
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Longevity-Sportler: Bei der Langlebigkeit als Ziel steht regelmäßige, moderate Bewegung im Vordergrund. Ziel ist es, den Körper langfristig gesund zu halten, ohne ihn zu oft auszupowern. Auch kürzere und weniger intensive Bewegungsphasen können wertvoll sein, zum Beispiel Spaziergänge oder Nüchternläufe, die den Fettstoffwechsel anregen. Doch bei der Abwägung zwischen zügigem Dauerlauf (ZDL) für mehr Tempohärte oder niedrigpulsigen Longruns für mehr Fettstoffwechsel wird in der Regel der lange Lauf gewählt.
2. Häufigkeit: Regelmäßigkeit oder gezielte Regeneration?
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Wettkampf-Sportler: Laufsportler trainieren meist drei bis fünf Mal pro Woche, wobei jede Einheit gut geplant ist und gewissenhaft nach Puls oder Pace gesteuert wird. Die übrigen Tage sind vor allem für die Regeneration gedacht.
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Longevity-Sportler: Hier zählt die Strategie der "Daily Workouts" – also tägliche Bewegung. Diese Bewegungen sind selten intensiv, sondern geprägt durch Regelmäßigkeit und Abwechslung.
3. Schlüsseleinheiten: Messbarer Fortschritt oder anhaltende Gesundheit?
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Wettkampf-Sportler: Ambitionierte Sportler fokussieren sich oft auf zwei bis drei Schlüsseleinheiten pro Woche, die eine gezielte Leistungssteigerung anstreben. Die Laufcampus-Community erkennt ZDL, Tempotraining und die Longruns (MLALA und RLALA) als die wichtigen Schlüsseleinheiten im Trainingsplan.
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Longevity-Sportler: Für eine nachhaltige Gesundheit ist eher die tägliche Bewegung der "Schlüssel zum Erfolg", ohne dabei unbedingt den Fokus auf jedes einzelne Training zu legen. Konsistenz zählt, das Dranbleiben am aktiven Lebensstil. Und viel hilft viel, gerade auch wenn es wenig erschöpfend ist.
4. Verletzungsprophylaxe: Risiken minimieren oder Leistung maximieren?
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Wettkampf-Sportler: Ambitioniertes Training birgt ein höheres Risiko für Überlastung und Verletzungen. Präventives Ergänzungstraining wie Stabi- und Athletiktraining, regelmäßiges Stretching und physiotherapeutische Betreuung sind hier leistungsfördernd.
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Longevity-Sportler: Der Longevity-Sportler stretcht seltener, bevorzugt dafür Yoga. Das Verletzungsrisiko wird durch moderate Belastung und abwechslungsreiche Bewegungen minimiert. Statt intensiver Einheiten stehen Übungen im Vordergrund, die Mobilität und Beweglichkeit fördern. Schwimmen oder Training auf dem Ruderergometer sind das Athletiktraining der Longevity-Sportler und ergänzen das Laufprogramm.
High-Protein oder Kalorienrestriktion: Was passt zu Ihrem Ziel?
Auch in der Ernährung können Sportler ins Grübeln kommen, welchem Trend sie denn folgen sollen, wo doch beide Trends zum Ziel führen sollen. Fragt sich nur, welchem Ziel? Einem möglichst schnellen Formaufbau und bestmöglicher Leistung beim Wettkampf? Oder einer möglichst gesunden und natürlichen Ernährung, die die Langlebigkeit unterstützt?
1. Proteinbedarf: Muskelaufbau oder Langlebigkeit?
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Wettkampf-Sportler: Muskelaufbau und Regeneration erfordern oft eine Proteinaufnahme von 1,5 g pro Kilogramm Körpergewicht, so empfehlen es zumindest die Trainingswissenschaftler.
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Longevity-Sportler: Studien der Langlebigkeitsforscher deuten hingegen darauf hin, dass eine moderatere Proteinaufnahme von etwa 0,8 g pro Kilogramm Körpergewicht die Lebensdauer fördern kann, insbesondere im mittleren und höheren Alter. Von Proteinrestriktion ist die Rede, gerade tierische Eiweiße sollen alt machen.
2. Kalorienzufuhr: Energie für Höchstleistungen oder Reparaturmechanismen?
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Wettkampf-Sportler: Nach intensiven Trainingseinheiten ist eine ausreichende Energiezufuhr entscheidend, um die Glykogenspeicher wieder aufzufüllen und schnell wieder fit fürs nächste Training zu werden. So machen es die Wettkampfsportler.
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Longevity-Sportler: Wer den Fokus auf Gesundheit legt, weiß, dass im Vergleich zum Durchschnitt eher weniger besser ist. Von nur 80 Prozent satt essen ist gelegentlich die Rede. Auch haben Forschungen ergeben, dass eine bewusste Kalorienrestriktion, wie sie oft in Intervallfasten-Strategien vorkommt, zelluläre Reparaturmechanismen wie die Autophagie fördern kann und damit das Risiko chronischer Erkrankungen senken.
3. Datteln oder Energy-Gels: Natürliche Energie oder technische Lösungen?
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Wettkampf-Sportler: Sportler schätzen von der Industrie entwickelte Energy-Gels und Iso-Drinks für eine schnelle Energiezufuhr beim Training und Wettkampf. Schnelle Lösungen, die die Verdauungsorgane nicht zu sehr beanspruchen.
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Longevity-Sportler: Gesundheitssportler ziehen Datteln vor, weil es keine rein auf die Energie- und Elektrolyt-Zufuhr optimierte Nahrungsmittel sind, sondern Lebensmittel, Früchte, die alles beinhalten, was der Mensch zum Leben braucht. Unter anderem Ballaststoffe, die der ambitionierte Wettkampfsportler im Training und Wettkampf als belastend empfinden könnte.
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Was beide verbindet: Selbstführung als Schlüssel zum Erfolg
Regeneration durch Schlaf: Ein unverzichtbares Fundament
Ein gesunder Schlaf ist für alle Menschen die Basis für Regeneration – unabhängig davon, ob das Ziel sportliche Leistungsfähigkeit oder Langlebigkeit ist. Schlafmangel beeinträchtigt nicht nur die körperliche Erholung, sondern erhöht auch das Risiko für chronische Erkrankungen. Der Longevity-Sportler hat es jedoch vielleicht einfacher, weil dieser üblicherweise gesünder isst und wenig intensiv trainiert. Intensives Training am Abend und eine reichhaltige Ernährung im Anschluss sind eher ein Hindernis für tiefen Schlaf – viele Triathleten erleben das regelmäßig.
Selbstführung: Der Schlüssel zu kontinuierlichem Erfolg
Egal ob Erfolge auf der Rennstrecke oder die Siegerfaust nach der ärztlichen Vorsorgeuntersuchung – wiederkehrende Erfolge kommen nicht zufällig, sondern sind immer das Ergebnis guter Selbstführung und oft Selbstdisziplin. Dabei zu wissen, welche Ziele man priorisiert – den guten Schlaf oder die Nährstoffzufuhr nach der zweiten Trainingseinheit des Tages – hilft bei einer auch im Ergebnis konsequenten Lebensführung.
Selten gibt es ein Richtig oder Falsch
Die Frage, ob Wettkampf- oder Longevity-Sportler der bessere Weg ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Es kommt auf die sehr persönlichen Ziele an. Während Wettkampf-Sportler oft nach Spitzenleistungen streben und ihre Grenzen ausloten, zielt die Longevity-Perspektive auf eine nachhaltige Balance im Leben ab. Beide Ansätze können voneinander lernen, und die ideale Mischung könnte der Schlüssel zu einem erfüllten, gesunden und langen Leben sein.
Ein gesundes und erfülltes Leben wollen wir alle, manche etwas länger, andere etwas intensiver.
Worin sehen Sie sich? Im Team Wettkampf oder im Team Longevity?
So oder so, gerne unterstütze ich Sie bei Ihrer Zielerreichung:
Über Andreas Butz
Andreas Butz ist erfahrener Lauftrainer, mehrfacher Buchautor und Entwickler der Laufcampus-Methode. Mit über 200 gelaufenen Marathons in 28 Ländern und seiner Expertise für Training, Ernährung und Regeneration unterstützt er sowohl ambitionierte Sportler als auch Menschen, die sich ein gesundes, langes Leben wünschen.
Keyvisual: Marco Dahmen