"Ich glaube, dass Ausdauersport etwas mit Fähigkeiten zu tun hat" – Reimund Gotzel
Reimund Gotzel, 1966 in Schleswig-Holstein geboren, hat jede Menge Energie. Muss er auch, als Vorstandsvorsitzender der E.ON Thüringer Energie, dem größten Energiedienstleistungsunternehmen in Thüringen. Aber nicht nur das. Wer vier- bis fünfmal wöchentlich immer morgens zwischen 6 und 7 Uhr aufsteht um die Laufschuhe anzuziehen, muss auch persönlich über sehr viel Energie verfügen.
Offensichtlich ist die Energie von Reimund Gotzel im höchsten Maße regenerativ. Dazu investiert er Energie in Form von Fetten und Kohlenhydraten und erntet Lebensenergie, die ihm in allen Lebenslagen hilft. Und damit dies so bleibt, braucht er als Antrieb jedes Jahr einen Marathon, wie er Andreas Butz im Interview verriet.
Reimund Gotzel im Gespräch mit Andreas Butz
Andreas Butz: In einem mittlerweile fünf Jahre alten Artikel in der Süddeutschen Zeitung habe ich gelesen, dass Sie Marathon laufen. Gilt das immer noch?
Reimund Gotzel: Ja, am 14. Oktober 2012 ist es beim München-Marathon wieder so weit. Der Marathon ist für mich gut erreichbar. Ich arbeite in Erfurt, bin aber unverändert mit der Familie in Regensburg beheimatet. Von Regensburg nach München ist es ein Katzensprung. Also, werde ich da morgens rüberfahren, eine Runde laufen und dann wieder zurückfahren.
Was haben Sie in München vor zu laufen? Haben Sie ein besonderes Ziel oder laufen Sie "just for fun"?
Ja, ich habe schon ein Ziel: 3:30 Stunden. Ob mir das gelingt, werde ich sehen. Aber an sich ist der Kurs in München nicht schlecht, da er ja sehr flach ist. Das wichtigste aber ist für mich, einmal im Jahr einen Marathon als Ziel zu haben, ein Ziel auf das ich hintrainieren kann. Am Ende spielt aber auch die Zeit eine gewisse Rolle. Zumindest ist es immer mein Anspruch, nicht unbedingt schlechter zu sein als beim Mal davor.
Sie laufen einmal im Jahr einen Marathon?
Ja genau. Und zwischendrin gibt es natürlich diverse Möglichkeiten mal Halbmarathon oder kürzer zu laufen. So haben wir auch im Unternehmen eine Läufergruppe und sponsern als E.ON Thüringer Energie den Rennsteiglauf, den "langen Kanten", über 72 Kilometer. Wir haben dabei die große Ehre und Freude, dass wir uns den als Team aufteilen dürfen. So läuft dann jeder im Team, wenn man die Höhenmeter mit einbezieht, in etwa einen Halbmarathon.
3:30 Stunden, das ist ambitioniert. Woher wissen Sie, dass diese Zeit auch dieses Jahr möglich ist?
Ich habe gerade am vorletzten Wochenende einen Halbmarathon gelaufen, in Neumarkt in der Oberpfalz. Das ist für mich mittlerweile ein Traditionslauf, den ich jedes Mal mitmache. Den bin ich in 1:40 Stunden gelaufen. Also das passt gut ins Bild.
Die Grundschnelligkeit passt also für eine Zeit unter 3:30 Stunden.
Was mir ein bisschen fehlt sind die ganz langen Vorbereitungsläufe. Wir waren jetzt 3 Wochen in Kanada im Urlaub, was insgesamt traumhaft war. Auch hier habe ich mal wieder feststellt, dass Laufen eine tolle Geschichte ist, weil ich jeden Morgen gelaufen bin. Sei es über irgendwelche Trails, auf denen ich sozusagen ganz nebenbei Wildlife Watching machen konnte. Oder auch zum Beispiel in Vancouver, laufend Sightseeing. Aber da waren keine ganz langen Läufe dabei. Meine Läufe endeten im Maximum bei 18 Kilometern. Jetzt habe ich noch 2 Wochenenden und bin ganz zuversichtlich, dass ich hier gut laufen kann. Und am Ende wird das Ding ja eh im Kopf gewonnen oder verloren.
Wie haben Sie denn ursprünglich den Zugang zum Laufen gefunden?
Letztlich ist das gewachsen. Ich habe alles Mögliche an Sport gemacht. In der Jugend Volleyball, später Badminton, Squash und Tennis. Aber der Job hat mich immer wieder ausgebremst, so dass ich oft zu spät zum Training kam. So wurde mein Sport immer unregelmäßiger. Und dann stellte sich für mich die Frage: "Was machst du jetzt?" und ich traf jemanden der sagte: "Mensch, ich habe das gleiche Problem. Ich wollte jetzt das Laufen anfangen. Wollen wir nicht zusammen mal eine Runde laufen?". Das war, als ich nach Regensburg gekommen bin, also ungefähr vor 12 Jahren. Und mit diesem Freund habe ich dann wirklich das Laufen angefangen. Wir sind zunächst ein Stück gelaufen, bis wir ermattet waren, und dann sanft zurück gelaufen. Das haben wir immer weiter ausgebaut und es kamen immer mehr Leute dazu. Die Gruppe wurde mal größer, auch mal wieder kleiner. Der Kern aber ist bis heute geblieben. Mit mir sind drei Kernmitglieder immer noch dabei.
Eine rein Regensburger Lauf-Clique, die nach ihrem Umzug im Jahr 2000 entstanden ist?
Ja, aus diesen ersten Lauf-Bekanntschaften sind heute Freunde geworden. Im Jahr 2002 habe ich gedacht, jetzt kann ich auch mal in Regensburg einen Halbmarathon laufen. Was ganz nett ist, wenn Sie in Regensburg wohnen und überall am Streckenrand auf Leute treffen, die sich mit einem freuen. Und die Erkenntnis kam "Ich kann das ja. Und es macht mir riesig Spaß". Gerade diese Laufveranstaltungen machen große Freude.
Ja, absolut.
Und dann habe ich mir gleich vorgenommen "Na gut, das baust du jetzt noch weiter aus und guckst mal, wie weit du kommst. Und vielleicht schaffst du ja auch mal einen Marathon." Und als ich wirklich gut unterwegs war, habe ich mir die Bänder gerissen. Aber als ich nicht laufen konnte, habe ich erst recht gemerkt, wie wichtig mir das Laufen inzwischen geworden war.
Die Zwangspause hat dieses Gefühl nochmal verstärkt?
Ja, sie hat mir gezeigt, wie sehr es mir gefehlt hat, als ich mehrere Wochen nicht laufen konnte. Als ich mit der Physiotherapie begann, habe ich meiner Therapeutin gleich gesagt: "Was ich als erstes schnell wieder erreichen will, ist dass wir beide zusammen Laufen." Und das hat geklappt, und bis heute ist Laufen mein Kernsport geblieben.
Und wann kam die Versuchung schließlich auch mal einen Marathon zu wagen?
Da kamen zwei Dinge zusammen. Meine Schwägerin sagte aus dem Nichts heraus: "Ich laufe jetzt einen Marathon." Und zeitgleich hatten wir bei der E.ON Energie in München ein Lauf-Team beim München Marathon am Start. Bei mir kam leider der Bänderriss dazwischen, meine Schwägerin ist aber gelaufen. Wir haben uns als Familie an die Strecke gestellt. Und dann kamen die ganzen Läufer an uns vorbei, auch die Läufer von E.ON Energie, alle mit einem einheitlichen Shirt. Und wir standen da, haben die Schwägerin angefeuert, und natürlich alle die E.ON Energie Läufer. Und da war bei mir klar: "Das nächste Jahr bist du da auch auf der Strecke. Da willst du hin". Und das war dann auch so. Ein Jahr später bin ich meinen ersten Marathon gelaufen. Und das war auch deswegen schön, weil wir wieder mit einer Mannschaft angetreten sind, als E.ON Energie Team.
Das Teamerlebnis hat das eigene Erfolgserlebnis nochmal verstärkt?
Ja, absolut. Meinen ersten Marathon habe ich dann in knapp über 4 Stunden gemacht und war im Ziel völlig entspannt. Und die Endorphine purzelten nur so in der Gegend herum; es war einfach klasse.
Wie groß war das E.ON Marathon-Team
Also, schon ordentlich groß, 40 bis 50, die kamen aus dem ganzen Konzern, aus ganz Europa. Wir haben hausintern Werbung dafür gemacht und auch die Startgebühren übernommen und ähnliches.
Oh, 50 Marathonläufer aus einem Unternehmen? Ja, das ist klasse.
Und alle hatten die gleichen Shirts an.
Der erste Marathon war also doppelt schön. Zum einen, weil es ihr erster war und weil sie als Team aufgetreten sind. Der Einzelsport Marathonlaufen als teambildende Maßnahme.
Ja, so ist es. Auch hier mit E.ON Thüringer Energie ist es das gleiche, wenn wir mit mehreren Teams beim Rennsteiglauf am Start sind. Das ist ein unglaublich schönes Team-Event. Wir laufen dann staffelweise gegeneinander. Also, der Vertrieb läuft gegen das Team Marketing, läuft gegen das Team Netz und so weiter.
Also, es gibt nicht nur eine E.ON Staffel...
Nein. Wir machen firmenintern ein Staffelrennen. Da laufen die Abteilungen sozusagen gegeneinander. Das wichtigste ist natürlich, dass alle ins Ziel kommen. Klar, ein Team gewinnt am Schluss, aber eigentlich ist das auch völlig egal. Wir kommen alle gut rein, machen eine ordentliche Siegerehrung und haben Spaß.
Das klingt gut. Wie viele Staffeln kommen da zusammen?
Im Schnitt sind es vier, wir hatten auch schon mal Jahre mit fünf. Wir haben das auch intensiviert. Über unsere Betriebskrankenkasse haben wir als Trainer Nils Schumann engagiert, den Sie wahrscheinlich auch kennen.
Ja, natürlich, der war mal ein sehr guter Mittelstreckenläufer. Und wie ging es mit Ihrer Marathonkarriere nach der Premiere in München weiter?
Ja, im Prinzip war für mich sofort klar, dass ich jedes Jahr einen Marathon laufen wollte.
Das war Ihnen nach dem ersten Marathon bereits klar?
Für mich war das klar, weil es mir viel Freude gemacht hat, mich auf diesen Marathon vorzubereiten Für den inneren Schweinehund ist es natürlich ganz hilfreich, wenn man ein Ziel hat und sich sagen kann: "Wenn du das Training schlabberst, dann musst du es später wieder nachholen". Also: am besten schlabberst du erst gar nicht.
Der Marathon im Hinterkopf als Motiv zur Selbstführung. Ich melde mich an, deswegen muss ich jetzt auch trainieren.
Genau: Ich habe ein Ziel und muss dafür was tun.
Setzen Sie sich auch unter Erwartungsdruck, indem Sie es rumerzählen, Ihren Kollegen, Sekretärinnen und Freunden?
Ja, so ist es. Also, ich hänge es nicht ans schwarze Brett, aber wie Sie schon sagten, ich erzähle das meiner Sekretärin, ich erzähle es auch ein paar Kollegen, ich erzähl es zuhause. Ja logisch, das mache ich auch bewusst, denn: dadurch ist klar, dass ich da auch hingehen werde.
Für den Fall, wenn der innere Schweinehund mal wieder etwas lauter geworden ist.
Ja - und Sie wissen sicher auch, der kommt bestimmt!
Na klar, den kennt jeder. Und nun ist München zum zweiten Mal ihr Marathon-Ziel?
Nein, zum vierten Mal. Gleich meine ersten drei Marathons waren in München. Und da habe ich gedacht "Okay, jetzt muss ich auch mal was anderes machen." Und bin dann den Mallorca-Marathon mitgelaufen.
Zudem wollte ich immer gerne mal nach Stockholm, weil mir davon schon viele vorgeschwärmt haben und es eine Stadt ist, in der wir noch nie waren. Und in Deutschland will ich mal in Berlin laufen. Dieses Jahr war ich mit meiner Anmeldung zu spät dran, aber nächstes Jahr klappt es dann hoffentlich.
Sie pendeln zwischen Erfurt und Regensburg. Wie bauen Sie Ihr Training in Ihren Tagesablauf ein? Haben Sie feste Regeln?
Ja, ein stückweit habe ich feste Regeln. Am Wochenende laufe ich immer mit meinen Regensburger Lauffreunden. Der Samstag ist der absolute "Quatschtag". Da laufen wir 12 bis 15 Kilometer, tauschen uns aus, was die Woche so war, reden die ganze Zeit. Das ist also ein festes Ritual. Und Sonntag ist dann immer die Frage, was der Trainingsplan her gibt. Da kommt es dann schon mal vor, das wir nicht mehr so viel reden können. Oder wir machen mal einen langen Lauf. Samstag sind immer alle dabei und Sonntag ist auch mal wechselnde Besetzung. Aber für mich ist völlig klar, Samstag und Sonntag geht es morgens um 7 Uhr los, oder wenn ein langer Lauf angesagt ist, auch schon mal um 6 Uhr.
Und in der Woche?
Und in der Woche ist der Normalfall ebenfalls morgens, so wie heute, weil es einfach besser in den Tag reinpasst.
Wann sind Sie in die Laufschuhe gesprungen?
Ich bin heute um 6:45 Uhr in die Laufschuhe gesprungen. Und habe da meine klassische Runde gedreht. Von meiner Wohnung aus, kommt man ein kleines Stück durch die Stadt durch und dann bin ich an der wilden Gera, die ich entlang laufe. Ist eine wunderschöne Laufstrecke.
Zweimal in der Woche?
Üblicherweise ja, in der Marathonvorbereitung muss ich natürlich auf insgesamt mindestens fünfmal Training pro Woche kommen.
Was geschieht mit Ihnen beim Laufen? Manche erzählen, dass sie beim Laufen Frust verarbeiten, andere berichten vom Energieschub.
Ja, das ist schon richtig, dass ein Tag durch Laufen besser beginnt. Ein Frustverarbeiter bin ich nicht, weil ich gar nicht viel Frust verspüre (lacht). Aber ich profitiere vom Laufen auch darüber hinaus, weil es etwas mit Disziplin zu tun hat. Es ist diese Haltung zum Laufen. Gerade die Langstrecke hat eine ganze Menge mit dem zu tun, was ich hier im Beruf so tagtäglich zu tun habe.
Von der Disziplin, die Sie im Sport zeigen, dieser Haltung, wie Sie sagen, profitieren Sie auch im beruflichen Alltag?
Das empfinde ich so. Es bestehen Gemeinsamkeiten und es befruchtet sich gegenseitig. Insbesondere die Langläufe sind sehr entspannend. Sie helfen mir letztlich auch kreativ zu sein Ich habe insgesamt einfach das Gefühl, dass das ein Sport ist, der schlicht gut zu mir passt.
Das scheint vielen Top-Managern so zu gehen. Oder haben Sie eine andere Erklärung dafür, warum gerade in Führungsetagen so viel Marathon gelaufen wird?
Zum einen ist es als Führungskraft schwer, terminlich mit Mannschaftsportarten zu recht zu kommen. Das kriegt man einfach oft nicht hin. Zum anderen musst du für beides, um Führungskraft und Marathonläufer zu sein, einen gesunden Ehrgeiz und Disziplin haben. Es braucht hier einen bestimmten Typ Mensch. Einen Typ, der auch ein stückweit nicht nur die eigene, sondern auch die Fremdanerkennung braucht. Wenn Sie in einer Top-Führungsfunktion sind, dann brauchen Sie eine bestimmte Grundprägung, ansonsten kommen Sie wahrscheinlich erstens da gar nicht hin und zweitens halten Sie es auch nicht aus.
Also zwei Aspekte. Zum einen der Marathon als Chance, um auf einer anderen Spielwiese zeigen zu können, dass man erfolgreich ist, und dann auch als eine Art Selfbranding. Seht her, ich bin Marathonläufer?
Ja, das sind vom Typus her auch oft Menschen, die ein kleines bisschen eitel sind.
Unabhängig von der Eitelkeit, gehen Sie als Sportler gerne voran, motivieren auch Ihre Kollegen, zum Beispiel zum Staffellauf beim Rennsteiglauf? Professor Ulrich Lehner sprach mal von seiner Strahlkraft als Vorstand.
Erstmal geht unsere Laufgruppe nicht auf mich zurück. Wir haben tolle Leute, die das machen und schon gemacht haben, bevor ich hier war. Andersrum ist es aber schon so, dass es für die, die mitlaufen, aber auch für das restliche Unternehmen, schon etwas hat, wenn der Vorstandsvorsitzende dabei ist. In diesem Sinne hat es eine Art von Strahlkraft Richtung Läufertruppe, aber auch darüber hinaus. Und dann setze ich mich natürlich für unsere Staffel ein und will auch gewinnen. Das gelingt uns natürlich nicht immer, ist uns aber schon gelungen.
Kommen wir zur letzten Frage. Glauben Sie, dass einem Nachwuchsmanager oder einer Nachwuchsmanagerin, der Hinweis auf die eigene Marathonerfahrung bei einer Bewerbung helfen kann?
Ich glaube, dass Sie schon einen Rückschluss daraus ziehen können, wenn jemand Ausdauersport betreibt. Ganz egal, ob es Schwimmen, Radfahren oder Laufen ist, von der Grundhaltung unterscheiden sich die Ausdauersportarten nicht wesentlich. Ich tue das zumindest. Und schließe daraus auf bestimmte Fähigkeiten und bestimmte Talente.
Sie sehen den Sport allgemein als positiv, aber Ausdauersport als besonderer Ausdruck dieser Haltung, von der Sie eben gesprochen haben?
Ja, ganz genau. Ich glaube, dass Ausdauersport etwas mit Fähigkeiten zu tun hat, die auch in den Bereich der sozialen Kompetenz einwirken.
Vielen Dank für das Interview. Wir sehen uns in München beim Marathon.
Sehr gerne. Ich freue mich drauf.
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